„Ich habe eine klare Vision, die mich leitet“
Female Leadership – Wettbewerbsvorteil für die Zukunft?
Frauen führen anders. Davon profitieren nicht nur die Teams, sondern auch die Unternehmen. Auf der Fortbildung für Pflegende werden zwei Frauen über ihre Erfahrungen im Klinikmanagement berichten: Sabine Brase und Katrin Hemm. Mit einer von ihnen haben wir vorab gesprochen.
Frau Brase, Sie waren in mehreren Kliniken als Pflegedirektorin tätig, haben als erste Person aus der Pflege den „Vordenker Award“ gewonnen und sind heute Geschäftsführerin im Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam. War eine solche Karriere schon immer ihr Ziel?
Nein, hätte mir früher jemand gesagt, dass ich mal im oberen Management arbeiten werde, hätte ich das gar nicht geglaubt. Im Gegenteil: Mich hat immer der Wunsch angetrieben, die Patientenbeziehung möglichst gut und individuell zu gestalten. Aber ich habe auch schon sehr früh – damals war ich noch gar nicht Leitung – darüber nachgedacht, wie man Laufwege optimieren oder das Personal besser einsetzen kann. Zu meiner ersten Stationsleitung habe ich mal gesagt: „Irgendwann löse ich dich ab.“ Die hat gelacht und gesagt: „Mich wirst du hier auf dieser Station nicht ablösen, aber das Potenzial fürs Management hast du.“ Das fand ich gut, dass sie mir das zugetraut hat. Bis ich meine erste Stationsleitung und später dann meine erste Pflegedirektion übernommen habe, hat es aber noch ein paar Jahre gedauert.
Was ist Ihnen persönlich beim Thema Führung besonders wichtig?
Ich bin auch ausgebildeter Coach und versuche entsprechend, meine Mitarbeitenden zu befähigen, für ihre eigenen Themen Lösungen zu entwickeln. Mir ist eine sehr individuelle und werteorientierte Herangehensweise wichtig. Das entspricht am ehesten dem transformationalen Führungsstil, bei dem die Führungsperson durch ihre Persönlichkeit motiviert und Eigeninitiative der Mitarbeitenden fördert. Ich möchte auf das Potenzial und die Stärken fokussieren, die die Menschen mitbringen, und nicht auf ihre Defizite. Für mich ist der größte Gewinn, wenn ich sehe, wie die Mitarbeitenden sich unter dieser Art der Führung entwickeln. Ein weiterer wichtiger Punkt: Ich führe aus der Zukunft heraus.
Was bedeutet das?
Ich habe eine Vision, wie Pflege in 2030 funktionieren könnte. Und dann schaue ich, was zu tun ist, damit das gelingt. Natürlich kenne ich die Rahmenbedingungen in 2030 nicht genau und es gibt einige andere Ungewissheiten, aber ich habe trotzdem eine klare Vision, die mich leitet. Das ist auch das, was meine Arbeitgeber von mir erwarten. Ich wurde immer in ein Krankenhaus geholt, wenn ich die Pflege neu aufstellen sollte. Das zieht sich durch meine Berufsbiografie. Mir gefällt, die Menschen von neuen Ideen zu begeistern und den Pflegedienst zukunftsfähig und erfolgreich aufzustellen.
Ist das ein typisch weiblicher Führungsstil, den Sie beschreiben?
Es ist mein Führungsstil, aber grundsätzlich wird Frauen eher ein kooperativer und transformationaler Führungsstil zugeschrieben. Auch Studien zeigen, dass Frauen im Vergleich zu Männern eher transformational führen. Interessant ist: Führen Männer transformational, wird das positiver bewertet als bei Frauen. Ich kenne aber auch sehr autoritäre oder direktiv führende Frauen. Das ist also individuell und meist auch kein Schwarz-Weiß, sondern es gibt jede Menge Grautöne.
Man sagt Frauen mehr Emotionalität und eine höhere Harmoniebedürftigkeit nach. Sollte man sich das in einer Führungsposition abgewöhnen?
Nein, im Gegenteil: Ich habe mir angewöhnt, meine Emotionen offen zu zeigen – auch vor meinem Team. Wenn mir etwas nicht gefällt, sieht man mir das gleich an, und wenn ich keine Antwort habe, sage ich: „Da muss ich erstmal drüber nachdenken.“ Ich möchte so authentisch wie möglich sein. Das betrifft auch meinen Kleiderstil. Früher haben sich viele Frauen in Führungspositionen betont männlich gegeben – vom Outfit wie vom Verhalten. Ich habe irgendwann alle Hosenanzüge weggeworfen. Ich kleide mich feminin, trage Kleider und Röcke und Make-up. Weil ich eben eine Frau bin.
Haben es Frauen in Führungspositionen noch schwerer? Oder ist das heute gar kein Thema mehr?
Doch, es ist immer noch ein Thema. Auch was die Verteilung der Führungspositionen betrifft. Auf Ebene der Stationsleitung sind die Positionen noch ganz gut mit Frauen besetzt, aber je höher die Position, desto eher ist sie männlich besetzt. Frauen trauen sich Führungspositionen immer noch deutlich seltener zu als Männer und stellen ihr Licht oft unter den Scheffel. Wenn sie eine Stellenausschreibung sehen, denken sie, müssten 120 Prozent von dem erfüllen, was verlangt wird, und wollen gleichzeitig zu Hause noch 200 Prozent geben. Das ist bei Männern ganz anders. Frauen brauchen hier mehr Ermutigung, Unterstützung und gute Vorbilder, um ihren Weg in eine Führungsposition zu finden.
Sie und Ihr Mann haben zwei mittlerweile erwachsene Söhne. Wie haben Sie Ihre Familie und Ihre Karriere gut zusammengebracht?
Wir haben ein sehr ausgewogenes Familienmodell gehabt und uns bei unseren Karriereschritten – mein Mann ist ebenfalls im Pflegemanagement – immer abgewechselt. So konnten wir uns beide gut entwickeln und haben trotzdem auch als Familie gut miteinander funktionieren können. Und oft haben wir beides auch kombiniert. Wenn ich Präsenzzeiten an der Hochschule hatte, ging es in den Ferien zum Beispiel auf den nahegelegenen Campingplatz, um trotz Studium gemeinsame Ferien zu haben. Und auch sonst waren unsere Jungs oft dabei – ob beim Boys Day im Krankenhaus oder bei Klausurtagungen und anderen Meetings.
Sie sind erfolgreich und nicht auf den Mund gefallen. Wie reagieren männliche Kollegen auf Sie?
Das ist unterschiedlich. Ich bin blond und ziemlich energisch unterwegs. Das kommt nicht bei allen gut an. Als Frau wird einem manchmal allein aufgrund von Äußerlichkeiten etwas attribuiert, was man nicht ist. Ob grenzwertige Nachrichten oder übergriffiges Verhalten – alles schon vorgekommen. Ich hatte zum Glück immer Menschen, mit denen ich das reflektieren konnte, um mich davon abzugrenzen und weiterzuentwickeln. Interessanterweise kommt so ein Verhalten heute gar nicht mehr vor. Es ist, als wenn ich mittlerweile eine unsichtbare Grenze ziehen kann, die dann auch ganz selbstverständlich eingehalten wird. Aber auch das will gelernt sein.
Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Female Leadership. Was ist das genau und was sind Ziele?
Female Leadership ist ein Thema, das mich auf allen Ebenen treibt – ob im Krankenhausmanagement oder auch in der Kommunalpolitik. Es ist ein Konzept, das im englischsprachigen Raum entstanden ist und die souveräne Führung durch weibliche Führungspersonen beschreibt. In jüngerer Zeit hat sich das Konzept auch als Element für mehr Gleichberechtigung in Führungspositionen etabliert. Ein wichtiges Ziel ist, auf die vielen, oft unbewussten Vorurteile aufmerksam zu machen, wenn es um das Thema Frauen und Führung geht. Und ein weiteres Ziel ist natürlich, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen.
Wie kann das gelingen?
Indem man Frauen gezielt Karrierewege aufzeigt, sie bei dieser Entscheidung unterstützt und Schritt für Schritt in diese Richtung hin entwickelt. Oft macht es Sinn, ihnen eine Position mit Entwicklungspotenzial zu geben, an der sie sich ausprobieren und wachsen können. Ich hätte mir zu Beginn meiner Karriere mehr Vorbilder gewünscht, an denen ich mich hätte orientieren können. Heute versuche ich, jungen Frauen ein Stück weit ein gutes Vorbild zu sein.
Interview: Brigitte Teigeler
Diskutieren Sie mit auf der Fortbildung für Pflegende am 1. Dezember 2023!
Sabine Brase und Katrin Hemm sind Referentinnen zum Thema „Female Leadership – Wettbewerbsvorteil für die Zukunft?“ (11.30 bis 12 Uhr). Diskutieren Sie mit: Führen Frauen anders? Wie können mehr junge Frauen für Führungspositionen gewonnen werden?