Die Integration assistiver Technologien und Robotik in die pflegerische Versorgung wird Arbeitsabläufe und Versorgungsprozesse verstärkt mit- und umgestalten. Die bislang zögerliche Einbindung in den Pflegeprozess ist nicht der mangelnden Akzeptanz beruflich Pflegender, sondern deren geringem Anwendungswissen geschuldet. Zu diesem Ergebnis kommt ein Survey des Projekts FORMAT der Universität Halle-Wittenberg.
Text: Sebastian Hofstetter, Victoria Richey, Prof. Dr. Patrick Jahn
Im Zuge des Fachkräftemangels und der zu‧nehmenden Zahl pflegebedürftiger Menschen werden digitalen assistiven Technologien und Robotik ein großes Lösungspotenzial zugeschrieben [1]. Den Pflegefachpersonen soll der Einsatz technischer Assistenzsysteme eine größere räumliche sowie zeitliche Unabhängigkeit bieten. Für den Transfer technischer Elemente in den Pflegealltag ist es unabdingbar, die Akteure und künftigen Nutzer aktiv miteinzubeziehen, um so deren Technikakzeptanz zu steigern und Risiken in der Anwendung zu reduzieren.
Eine Umfrage unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der 40. Fortbildung für Pflegende in Kassel im Oktober 2018 ermittelte deren Einstellungen, Akzeptanz, Anwendungserfahrungen und Qualifizierungsbedarfe bezüglich assistiver Technologie und Robotik. Bislang waren entsprechende Zusammenhänge in der Pflegeforschung kaum untersucht. Der Survey mittels des im Projekt FORMAT erstellten Fragebogens erfolgte in Kooperation mit der B. Braun Stiftung.
Mehrheit der Pflegenden für assistive Technologien
Der Großteil der Befragten (324) war weiblich (78,1 %), der Berufsgruppe der Gesundheits- und Krankenpflege zugehörig und seit mindestens 10 Jahren (66,9 %) in der gesundheitlichen Versorgung tätig. Ein deutlicher Anteil der Befragten war seit über 30 Jahren (31,8 %) in Bereiche der pflegerischen Versorgung beruflich eingebunden, hatte zu 65 % (211) eine Fachweiterbildung und zu 14 % (46) einen Studienabschluss. Ein klinisches Arbeitsumfeld überwog bei der Frage nach dem aktuellen Arbeitsplatz (61 %) deutlich.
Insgesamt bejahten mehr als 68 % der befragten Pflegekräfte eine generelle Bereitschaft zur Integration robotischer Systeme und Systeme der Künstlichen Intelligenz (KI) in ihren Arbeitsalltag zur Erörterung versorgungsrelevanter Fragestellungen. Das ist im Vergleich zu einer internationalen Befragung einer nicht ausschließlichen Fachgruppe [2] eine viel höhere Bereitschaft – und zwar über alle Altersklassen hinweg. Eine häufig unterstellte, tendenziell negative Grundeinstellung älterer Gesundheitsberufler gegenüber technischen Artefakten lässt sich nicht herleiten. Gerade die Befragten ab 40 Jahren (138) zeigen eine hohe Aufgeschlossenheit, versorgungsrelevante Fragestellungen mit Computersystemen und KI zu besprechen.
Wenige lehnen dies generell ab (22) oder sind diesbezüglich unentschlossen (36). 69,1 % der Befragten gaben an, sich eine Erleichterung der Pflegearbeit durch den Einsatz von Robotern oder assistierenden Computersystemen vorstellen zu können. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ein Technikeinsatz, der körperliche Belastungen pflegerischer Tätigkeit reduziert, ältere Pflegende länger zur Ausübung des Pflegeberufs motivieren könnte.
Aus-, Fort- und Weiterbildung oft noch ohne Technikeinbindung
Die überwiegende Mehrheit der befragten Pflegekräfte (66,7 %) teilt auch nicht die vielfach geäußerte Befürchtung, robotische Systeme und ein zunehmender Technikeinsatz in der Pflege würden über kurz oder lang Pflegekräfte ersetzen. Nur 13 % der Befragten erkennen in diesem Punkt eine Gefahr, 18,2 % sind hinsichtlich dieser Frage unentschlossen. 94,1 % der Befragten (305) nutzen im Arbeitsalltag einen Computer.
Zahlreiche andere bereits zur Verfügung stehende technische Assistenzgeräte wie Laptop, Telekonferenzsysteme oder Smartphone spielen jedoch offensichtlich nach wie vor keine nennenswerte Rolle im Versorgungsgeschehen bzw. sind in eine berufliche Praxis nicht integriert. Diese mangelnde Integration kommt auch in der Frage nach der Einbindung von Technikanwendung in der Ausbildung zum Ausdruck. Lediglich 26 % der Befragten stimmten der Frage nach ausreichender Qualifizierung in der Ausbildung zu, wohingegen 47,5 % sich eher nicht und 22,5 % überhaupt nicht gut auf den Einsatz pflegeassistierender Technologien vorbereitet fühlen.
Auch für den Bereich der Fort- und Weiterbildung geben 42,6 % der Befragten an, überhaupt nicht bzw. eher nicht (34,4 %) auf ausreichende Weiterbildungsmöglichkeiten zu digitalen und technischen Assistenzsystemen zurückgreifen zu können. Dementgegen stimmen 51,9 % voll und 36,7 % eher zu, dass Wissen zur Integration assistiver Technologien und Robotik künftig grundlegender Bestandteil der Ausbildung in den Gesundheitsberufen werden soll. Nur rund 7 % sehen diese Notwendigkeit eher nicht oder überhaupt nicht gegeben.
45,4 % (147) der Befragten stimmen der Aussage dazu voll und 41 % eher zu, dass praktische Anwendungserfahrungen entscheidend sind, um Technikbarrieren abzubauen. Dabei herrschen klare Vorstellungen auch zu den erwünschten Lerninhalten. 71 % der Befragten (230) wünschen sich Informationen zu Robotern, die im Pflegealltag entlastend wirken. An zweiter Stelle werden mit 66 % Technologien genannt, die die Dokumentation erleichtern bzw. den Dokumentationsaufwand reduzieren helfen (216). Dagegen besteht mit 35 % ein geringeres Interesse an technischen Assistenzsystemen in den Bereichen Kommunikation (112) oder „Therapie und Diagnostik“ (142). Berufsgruppenübergreifend wird die Weiterbildung als praktische Integration in den Arbeitsalltag favorisiert. Ebenfalls erwünscht ist Weiterbildung in Form von Workshops und Seminaren sowie die Anwendungserprobung in Lernlaboren und SkillsLabs – wie dem Future Care Lab.
Unterstützung für patientenferne Tätigkeiten erwünscht
Allgemein zeigt die Befragung, dass unter den Angehörigen der Gesundheitsberufe im Vergleich zu anderen Befragungen von einer hohen Akzeptanz und Erwartungshaltung gegenüber assistiven Technologien und Robotern auszugehen ist. Die Bereitschaft zur Integration technischer Pflegeassistenzsysteme ist berufsgruppenübergreifend vorhanden. Dies zeigt auch der Wunsch, Technik verstärkt in die pflegerische Ausbildung zu integrieren und als Schlüsselkompetenz in die Fort- und Weiterbildung miteinzubeziehen.
Pflegende wünschen sich technische und robotische Assistenzsysteme v. a. als Unterstützung für zeitaufwendige, patientenferne und administrative sowie körperlich belastende Tätigkeiten. Hierzu zählen z. B. die Material- und Wäschebeschaffung oder der Patiententransfer sowie die Kontrolle von Kühlschranktemperaturen oder Mindesthaltbarkeitsdaten bei Arzneimitteln. Grundpflegerische Tätigkeiten aus dem Kernbereich der Pflege mit einer intensiven Interaktion, z. B. Körperpflege, ankleiden, Essen vorbereiten und anreichen, Medikamente verabreichen, sollen jedoch weiterhin als Kernaufgaben in pflegerischer Hand verbleiben. Ausgenommen sind davon in einem hohen Maße körperlich belastende Tätigkeiten wie Mobilisierung und Transfer. Sie stellen den häufigsten Unterstützungswunsch dar.
Für eine beschleunigte Entwicklung und Praxisintegration sollten die berufsspezifischen Anforderungen, die Pflegende an technische Assistenzsysteme stellen, stärker in Form eines co-kreativen Prozesses Berücksichtigung finden. Akzeptanz ist in der Berufsgruppe vorhanden und lässt sich – wie ebenfalls mehrheitlich gewünscht – durch Technikerprobung und -schulung verbessern und intensivieren. Pflegende erkennen selbst, dass eine Praxiserprobung der technischen Assistenzsysteme zu einer Akzeptanzsteigerung durch Anwendungserfahrung führt und machen sich somit die digitale Revolution zu eigen.
45,4 % (147) der Befragten stimmen der Aussage dazu voll und 41 % eher zu, dass praktische Anwendungserfahrungen entscheidend sind, um Technikbarrieren abzubauen. Dabei herrschen klare Vorstellungen auch zu den erwünschten Lerninhalten. 71 % der Befragten (230) wünschen sich Informationen zu Robotern, die im Pflegealltag entlastend wirken. An zweiter Stelle werden mit 66 % Technologien genannt, die die Dokumentation erleichtern bzw. den Dokumentationsaufwand reduzieren helfen (216). Dagegen besteht mit 35 % ein geringeres Interesse an technischen Assistenzsystemen in den Bereichen Kommunikation (112) oder „Therapie und Diagnostik“ (142). Berufsgruppenübergreifend wird die Weiterbildung als praktische Integration in den Arbeitsalltag favorisiert. Ebenfalls erwünscht ist Weiterbildung in Form von Workshops und Seminaren sowie die Anwendungserprobung in Lernlaboren und SkillsLabs – wie dem Future Care Lab.
Literatur
[1] Haux R. Technische Systeme im Pflege- und Versorgungsmix für ältere Menschen. Expertise zum 7. Altenbericht der Bundesregierung. Block J, Hagen C, und Berner F (Hrsg.). Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen; 2016
[2] PwC. Bevölkerungsbefragung: Künstliche Intelligenz. Pricewaterhouse Coopers; 2017. Im Internet: https://www.pwc.de/de/consulting/bevoelkerungsbefragung-kuenstliche-intelligenz-2017.pdf; Zugriff: 23.07.2019
Diese Arbeit entstand im Rahmen des Forschungsprojekts FORMAT des Forschungsverbunds „Autonomie im Alter“, gefördert durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) unter dem Förderkennzeichen ZS/2016/07/80201.