In der Pflege passiert doch nichts? – Stimmt nicht!

3 Entwicklungen, die Hoffnung machen

Ob Heilkundeübertragung, Personalbemessung oder Pflegekammern – es gibt einiges, was die Pflege künftig voranbringen könnte. Pflegedienstleiter Arne Evers zeigt auf der Fortbildung für Pflegende 2023, was sich getan hat und warum es lohnt, aktiv mitzugestalten.

In der Pandemie war die Hoffnung der Pflegenden groß. Es wurde applaudiert, von Systemrelevanz gesprochen und angekündigt, dass sich nach Corona dringend etwas ändern müsse. Doch mit der Zeit und mit neuen Krisen sind die Versprechen der Pandemie in Vergessenheit geraten. „Viele Pflegende haben sich deutlich mehr von der Politik erhofft und sind enttäuscht worden“, sagt Arne Evers, Pflegedienstleiter am St. Josefs-Hospital Wiesbaden. Doch die Einschätzung, dass in der Pflege nichts vorangeht, teilt er nicht. Vielmehr sieht er gleich mehrere vielversprechende Entwicklungen, die langfristig etwas bewegen könnten. Drei Beispiele:


1. Erweiterte Kompetenzen der Pflege
Gesetzlich ist festgelegt, dass bestimmte heilkundliche Tätigkeiten künftig auf Pflegefachpersonen übertragen und selbstständig von ihnen ausgeübt werden dürfen – eine Zusatzqualifikation vorausgesetzt. Das betrifft vor allem Aufgaben bei Diabetes mellitus, chronischen Wunden oder Demenz und ist in Paragraf 64d Sozialgesetzbuch V geregelt. Auch sollen Pflegende in diesem Rahmen Folgeverordnungen für z. B. Verbandmittel, Heilmittel und Hilfsmittel sowie häusliche Krankenpflege erstellen dürfen. „Dabei geht es nicht darum, Ärztinnen und Ärzte zu entlasten, sondern die Pflege aufzuwerten“, betont Evers. „Damit haben Pflegende die Perspektive, künftig eigenverantwortlich heilkundliche Aufgaben zu übernehmen.“

Der Haken: Die gesetzliche Grundlage ist da, Evers selbst kennt aber keine Einrichtung, in der dazu schon ein Modellversuch läuft. „So etwas sorgt für Frustration. Da muss sich niemand wundern, wenn Pflegende den Beruf verlassen“, sagt der Pflegedienstleiter. Er würde sich hier ein stärkeres Durchgreifen des Gesetzgebers wünschen. Auf dem Deutschen Pflegetag Ende September in Berlin hat der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) immerhin mehr Kompetenzen für Pflegende angekündigt. Das würde sowohl die Delegation als auch die Substitution, also die eigenverantwortliche Übernahme von heilkundlichen Aufgaben durch Pflegende, umfassen. „Wir nutzen das fachliche Potenzial der Pflege in Deutschland viel zu wenig“, sagte Lauterbach dazu.


2. Mehr Transparenz beim Pflegenotstand
Die aktualisierte Pflegepersonalregelung PPR 2.0 bietet die Chance, den Pflegenotstand in konkrete Zahlen abzubilden. Dass es an Pflegepersonal mangelt, ist allgemein bekannt. Doch wie viele Pflegepersonen in welchen Bereichen fehlen, ist schwer zu beziffern. Aktuell fehlt hierfür ein fundiertes Personalbemessungsinstrument. In den gesetzlich festgelegten Untergrenzen sieht Evers bei Pflegemangel nur einen eingeschränkten Schutz für Pflegende. „Hier hängt es sehr stark davon ab, wie die Kliniken mit den Untergrenzen umgehen, d. h. ob sie bei Unterschreiten tatsächlich Betten schließen oder eher Strafzahlungen in Kauf nehmen“, sagt Evers. In der Pandemie wurden die Untergrenzen von der Politik sogar komplett ausgesetzt.

Die PPR 2.0 ist laut Evers das „derzeit verheißungsvollste Instrument“ und wird vermutlich zum Jahresbeginn 2024 in Deutschland eingeführt. „Sie ist nicht die Rettung der Pflege, aber ein wichtiger Bestandteil, um daraus weitere Rückschlüsse zu ziehen, wie groß das Problem tatsächlich ist und der Politik dadurch Handlungsspielräume aufzuzeigen.


3. Mehr politische Mitsprache der Pflege
Nur wer politisch gehört wird, kann seine Anliegen vorbringen und Politik aktiv mitgestalten. Die bestehenden Pflegekammern sind ein Weg der politischen Mitsprache, derzeit gibt es sie in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg befindet sie sich in der Gründungsphase. Jedoch stehen nicht nur einige politische Parteien, sondern auch zahlreiche Pflegende einer Verkammerung kritisch gegenüber. Dabei ist politisches Engagement der beruflich Pflegenden genau das, was die Pflege derzeit braucht. „Egal, ob Berufsverband, Kammer oder Gewerkschaft: Wenn Pflege sich entwickeln soll, müssen die Pflegenden mitmachen“, sagt Evers. Er wünscht sich zudem, dass in jedem Bundesland eine oder ein Pflegebeauftragter etabliert wird, der auch Gesetzgebungskompetenzen hat – ähnlich einer Chief Government Nurse, wie es sie in anderen Ländern gibt.


Die führende Rolle der Pflege schon jetzt mitdenken
„Natürlich hängt nun einiges an der Politik“, sagt Evers. „Aber Politik kann man nur beeinflussen durch eine hörbare Stimme und eine starke Pflege. Zeigt die Basis für Pflegepolitik kein Interesse, nehmen die politischen Vertreter das wahr.“ Der Pflegedienstleiter appelliert an die Pflegenden, aktiv mitzugestalten. Denn die Gesundheitsversorgung stehe auf wackeligen Füßen, gerade auf dem Land oder in strukturschwachen Regionen – „davor wird sich der Gesetzgeber nicht verschließen können“. Ob Heilkundeübertragung, Community Health Nursing oder Gesundheitskioske – in diesen Bereichen werde die führende Rolle der Pflege von der Politik bereits jetzt mitgedacht. Auch wenn es noch etwas dauern wird, bis es so weit ist: „Eine Aufwertung der Pflege wird über die gesellschaftliche Entwicklung laufen“ ist sich Evers sicher. „Diese Situation ist ein aussichtsreicher Stützpunkt, auf den die Pflege aufbauen sollte.“

Text: Brigitte Teigeler

Diskutieren Sie mit auf der Fortbildung für Pflegende am 1. Dezember 2023!

Arne Evers ist Referent des Vortrags: „In der Pflege passiert doch nichts!“ (9.25 bis 9.55 Uhr). Hier können Sie mitdiskutieren, was es vonseiten der Politik, aber auch der Pflegenden selbst braucht, um den Pflegeberuf langfristig zukunftsfähig zu gestalten.

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