„Hier ist Pflege die Haupttherapie“
„Nurse-led Unit“ – wenn Pflegefachpersonen eine Station leiten
Seit September 2025 gibt es im Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide bundesweit die erste Nurse-led Unit. Was zeichnet das Modell aus? Was ändert sich im Pflegealltag? Wir sprachen mit dem Initiator Dr. Witiko Nickel.

Dr. Witiko Nickel ist pflegerischer Geschäftsführer am Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide. Schon vor sieben Jahren plante er: „Wir möchten eine eigene Nurse-led Unit im Klinikum haben.“
Herr Dr. Nickel, gibt es auf Ihrer neuen Station überhaupt noch Ärzte und Visiten?
Ärzte dürfen natürlich auf die Station kommen, sie müssen es aber nicht. Sie werden nur unterstützend hinzugezogen, wenn tatsächlich etwas mit den Patienten ist. Daher sind ärztliche Visiten auch nicht erforderlich. Es werden aber regelmäßig Pflegevisiten durchgeführt.
Was bedeutet Nurse-led-Unit genau?
Auf einer Nurse-led Unit, kurz NLU, übernehmen die Pflegefachpersonen die Verantwortung für die Organisation und Betreuung der Patienten – es ist also eine rein pflegegeleitete Station. In anderen Ländern, vor allem Großbritannien und den USA, sind NLU schon seit den 1960er-Jahren etabliert. Unser Klinikum ist das erste in Deutschland, das dieses Modell nun erprobt – wissenschaftlich begleitet von der Hochschule Bremen.
Für welche Patienten ist die neue Station geeignet?
Auf unsere Station kommen Patienten, die grundsätzlich medizinisch stabil sind, aber einen besonderen Pflegeaufwand haben. Es liegt also keine vital bedrohliche Situation mehr vor, die Patienten benötigen aber noch eine intensive Betreuung. Hier ist Pflege die Haupttherapie! Ein nephrologischer Patient lag zum Beispiel auf der NLU, weil er noch eine i.v.-Antibiose und engmaschige Beobachtung benötigte; er konnte nach wenigen Tagen entlassen werden.
Wie arbeiten die Pflegefachpersonen auf der NLU – im Vergleich zu anderen Stationen?
Sie übernehmen mehr ärztliche Tätigkeiten als andere Pflegefachpersonen. Sie legen zum Beispiel selbstständig intravenöse Zugänge, nehmen Blut und Blutkulturen ab und verabreichen nach einem ärztlich erstellten Standard eigenständig Schmerzmedikamente. Auch führen sie mehr Screenings und Assessments durch – denn wer die Verantwortung hat, muss sich die Patienten genau anschauen. Die NLU steht unter der ärztlich delegierten Verantwortung des Pflegedienstes. Das bedeutet mehr Verantwortung für die Pflegenden, dafür betreuen sie aber auch weniger Patienten als auf anderen Stationen üblich. Und sie werden im Vorfeld natürlich für die neuen Aufgaben geschult.
Wie sieht das pflegerische Team der Station aus?
Wir haben einen breiten Skillmix auf der NLU: Im Moment sind das sechs Pflegefachpersonen, darunter examinierte sowie akademisch qualifizierte Personen, und fünf bis sechs Pflegeassistentinnen, entweder ein- oder zweijährig oder hausintern über drei Monate qualifiziert. Zudem gibt es Physiotherapeuten, die die Patienten auf der NLU wie auch auf jeder anderen Station behandeln. Bei Start der Station am 4. September 2025 waren noch nicht alle Stellen besetzt, sodass im Moment nur sechs der 13 Betten belegt sind. Wir sind aber guter Dinge, dass es bald mehr sein werden.
Wie haben die Ärzte auf die neue Station reagiert?
m Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung gab es bereits im Vorfeld Interviews mit Ärzten, Therapeuten und Pflegefachpersonen. Die Ärzte äußerten sich sehr positiv und hielten das Modell für eine tolle Idee. In der Realität tauchen dann aber doch schnell Probleme auf, wenn dem ärztlichen Personal klar wird: Ich gebe bestimmte Aufgaben ab, bin aber weiter verantwortlich. Hier braucht es viel Kommunikation und klar definierte Standards, wie die Zusammenarbeit gestaltet wird. Die Vorteile liegen auf der Hand: NLU entlasten die Akutstationen und ermöglichen Pflegefachpersonen, mehr Verantwortung zu übernehmen – so wie es mit den erweiterten Kompetenzen auch gesetzlich angedacht ist.
Wie sieht die Stimmung nach den ersten Wochen aus?
Die Stimmung ist gut und die ersten Wochen sind erfreulich unauffällig verlaufen – ohne Beschwerden von Patienten oder Ärzten. Ich denke, es wird noch etwa ein Jahr dauern, bis wir ein stabiles Team haben, aber dann wird es laufen. Ich glaube sogar, dass viele Ärzte dann fragen werden: Warum machen wir das nicht auf Normalstation so? Denn das Modell kann ein Impuls sein, wie Arbeitsteilung neu gedacht werden kann und wie eine andere Versorgung im Krankenhaus aussehen könnte.
Text: Brigitte Teigeler
Was kann die Nurse-led Unit für die Pflege leisten? – Diskutieren Sie mit auf der Fortbildung für Pflegende am 18. November 2025!
Dr. Witiko Nickel ist Referent des Vortrags: „Nurse-led Unit – Pflege macht mehr als nur…“ (9.45 bis 10.20 Uhr).