„Wir brauchen nachhaltige Willkommensstrukturen“

Integration und Anti-Rassismus am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

Rassismus im Klinikalltag hat viele Gesichter – von kleinen Sticheleien bis zu offener Ablehnung. Am UKE kümmert sich Deutschlands erste Anti-Rassismus-Beauftragte im Krankenhaus darum, Vielfalt zu fördern und Diskriminierung sichtbar zu machen.

Kliniken, wie auch das UKE werden, immer vielfältiger – kulturell, sprachlich und in den Lebensrealitäten.
Foto: Pixabay

Dr. Sidra Khan-Gökkaya ist Vorstandsbeauftragte für Migration, Integration und Anti-Rassismus, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, sie ist seit 2020 in ihrer Funktion tätig.

Frau Dr. Khan-Gökkaya, welche rassistischen oder diskriminierenden Erfahrungen machen Beschäftigte im Gesundheitswesen?

Das reicht von subtilen Bemerkungen bis zu offenen Zurückweisungen. Mitarbeitende mit Migrationsgeschichte erleben etwa, dass ihre fachliche Kompetenz infrage gestellt wird oder Patient*innen nicht von ihnen behandelt werden möchten. Oder sie werden für Leitungspositionen nicht in Betracht gezogen, obwohl sie dafür qualifiziert wären. Studien bestätigen: So vielfältig die Gesundheitsbranche ist, so homogen ist sie in der Führungsebene. Hinzu kommen Mikroaggressionen, etwa wenn jemand ständig nach seiner „ursprünglichen“ Herkunft gefragt und nicht genauso selbstverständlich als Deutsch angesehen wird, oder zum Beispiel der Akzent kommentiert wird. Solche vermeintlichen Kleinigkeiten können auf Dauer sehr belastend sein und die Gesundheit beeinträchtigen.

Sie sind die erste – und bislang auch einzige – Anti-Rassismus-Beauftragte an einem deutschen Klinikum. Wie kam es zu dieser Position?

Das UKE wird immer vielfältiger – kulturell, sprachlich und in den Lebensrealitäten unserer rund 16.000 Mitarbeitenden. Diese Diversität ist ausdrücklich gewünscht und bereichert unseren Klinikalltag. Gleichzeitig braucht es Strukturen, die sie tragen. Das UKE hat sich deshalb das Ziel gesetzt, eine wertschätzende und vorurteilsfreie Unternehmenskultur zu fördern. Meine Position wurde 2020 geschaffen, um Integration und Anti-Rassismus systematisch voranzubringen. Denn wir brauchen nicht nur eine Willkommenskultur – sondern nachhaltige Willkommensstrukturen.

Was sind Ihre Aufgaben?

Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist, das Thema Anti-Rassismus fest in Aus-, Fort- und Weiterbildung am UKE zu verankern. Dazu bieten wir Schulungen für Mitarbeitende und Führungskräfte an. Ebenso wichtig ist die Sensibilisierung aller Berufsgruppen für Vielfalt und Diskriminierung – etwa durch Aktionen wie „UKE gegen Rassismus“. Außerdem berate ich Betroffene, aber auch Teams und Führungskräfte bei vielfaltssensiblen oder rassismuskritischen Fragestellungen. Denn auch wenn Rassismus-Erfahrungen erstmal einzelne Personen betreffen, wirken sie sich in der Folge auf das ganze Team aus.

Welche Möglichkeiten gibt es, gegen Rassismus vorzugehen?

Zunächst ist anzuerkennen, dass Rassismus überall vorkommt – auch im Gesundheitswesen. Hier braucht es eine klare Haltung der Teams und verbindliche Prozesse: Wie gehen wir damit um, wenn jemand beleidigt oder abgelehnt wird? Das erfordert von den Mitarbeitenden und Führungskräften, bewusst hinzuschauen, Vorfälle anzusprechen und rassistisches Verhalten konsequent zu unterbinden. Das Ziel ist, sich gemeinsam für einen respektvollen und sicheren Arbeitsplatz einzusetzen.

Kulturelle Vielfalt kann eine enorme Stärke für ein Team sein – aber auch Missverständnisse hervorrufen. Wie fördern Sie interkulturelle Sensibilität und Kommunikation auf den Stationen?

Oft heißt es: „Wir sind doch vielfältig – das läuft schon.“ Aber so einfach ist es nicht. Unser Ansatz lautet: Vielfalt ist kein Problem, sondern eine Kompetenz, die wir fördern müssen. Wir setzen deshalb auf Dialog und Reflexion. Ein schönes Beispiel war die Aktion „Yes, we care“. Internationale Pflegefachpersonen erstellten Poster, auf denen sie zeigten, wie Pflege in ihrem Herkunftsland aussieht. Diese wurden im Foyer ausgestellt, und alle Mitarbeitenden waren eingeladen, ins Gespräch zu kommen – über Herausforderungen, Rollenverständnisse und mögliche Missverständnisse. So ein Austausch fördert Empathie, gegenseitigen Respekt und ein besseres Miteinander.

Ihre Position gibt es nun seit fünf Jahren. Ist das Thema Rassismus seitdem passé?

Im Gegenteil – das Thema ist präsenter denn je. Durch meine Rolle haben Mitarbeitende nun eine feste Ansprechperson, bei der sie sich melden und über erlebte Vorfälle sprechen können. Gleichzeitig hat sich die politische Stimmung verändert: Rassistische Äußerungen sind heute gesellschaftlich akzeptierter, die Hemmschwelle ist deutlich gesunken. Ich erlebe es als sehr positiv, dass Betroffene wie auch Teams das Thema ernst nehmen und Unterstützung suchen. Kürzlich kam eine Führungskraft zu mir, zu der bald zwei Auszubildende mit Kopftuch auf die Station kommen. Sie befürchtete Konflikte mit Patient*innen und fragte, wie sie vorbeugen könne. Genau für solche Fragen bin ich da.

Wie sieht Ihre Vision für ein wirklich diskriminierungsfreies Klinikum aus?

Eine schöne Frage – denn wir brauchen Visionen. Zu oft sprechen wir nur darüber, was nicht funktioniert. Ich wünsche mir eine Klinik, in der alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Sprache, Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung oder sozialem Status – mit Respekt behandelt werden, ihre Kompetenzen einbringen können und gleiche Chancen haben. Rassismus ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Thema, das alle Berufsgruppen betrifft, bis hin zum Vorstand. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und mehr Gerechtigkeit in die Versorgung zu bringen – damit es eine wirkliche „Gesundheits“-Versorgung ist.

Text: Brigitte Teigeler

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