„Wir müssen darum ringen, dass die Pflege ihren Platz bekommt“ 

Selbstbestimmung in der Pflege – Tragikomödie ohne Ende?

In Sachen Pflegekammer geht es nur langsam voran – und mitunter sogar zurück. Für Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), kein Grund, die berufliche Selbstverwaltung an den Nagel zu hängen. Auf der Fortbildung für Pflegende 2022 wird sie einen Ausblick geben, was es braucht, um mehr Selbstbestimmung in der Pflege zu erreichen.

Frau Vogler, Sie setzen sich schon seit vielen Jahren für mehr Selbstbestimmung in der Pflege ein. Sind Sie langsam ungeduldig?

An manchen Stellen bin ich eher fassungslos, wie die Politik sich zur Pflege verhält. Der Stellenwert der gesamten Care-Berufe ist so gering – das entzieht sich einfach meinem Verständnis. Ich bin seit 20 Jahren in der Berufspolitik aktiv und wenn ich zurückblicke, bin ich manchmal erschüttert, wie wenig sich letztendlich getan hat.

Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren denn zum Positiven gewandelt?

Wir haben Leuchttürme wie die Pflegekammer in Rheinland-Pfalz, die seit 2016 ihre beruflichen Belange selbst regelt. Mit den Pflegestärkungsgesetzen konnte zudem die Situation für pflegebedürftige Menschen und Angehörige verbessert werden. Was mir jedoch fehlt, ist eine politische Vision für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Und dazu gehören auch die Gesundheitsförderung und Prävention, die noch viel zu wenig mitgedacht werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In Hessen und Brandenburg lief über mehrere Jahre ein Modellprojekt, in dem School Nurses – oder auch Schulgesundheitsfachpersonen – fest mit zum Team des Schulpersonals gehörten. Das Projekt wurde gut evaluiert, alle betonten den Benefit, ob Lehrpersonal, Schulkinder, Krankenkassen oder Politik. Und trotzdem wurde es in Brandenburg Ende letzten Jahres wieder abgeschafft, weil Geld fehlt. So ein kurzfristiges politisches Agieren ist aus meiner Sicht einfach nicht nachvollziehbar.

Zum Thema Pflegekammern: In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wählten die Mitglieder ihre Kammer selbst ab. Wollen die Pflegenden keine Selbstbestimmung?

Ich denke schon, dass sie Selbstbestimmung wollen, aber viele bekommen den Bezug zwischen ihrer Kammer und besseren Arbeitsbedingungen nicht hin. Was Befragungen von Pflegenden angeht, habe ich eine klare Forderung: Pflegekammern sind gesetzlich umzusetzen, ohne dass Pflegende befragt werden. Welche Berufskammer befragt denn regelmäßig ihre Angehörigen? Keine! Es geht bei der Pflegekammer nicht darum, ob Lieschen Müller eine Pflegekammer will. Es geht um eine bestmögliche pflegerische Versorgung, für die der Staat Sorge zu tragen hat.

Was motiviert Sie, trotz allem Gegenwind weiterzumachen?

Mich motiviert, dass die Pflege- und Gesundheitsberufe so elementar wichtig sind. Sie sind die Seele unserer Gesellschaft! Im Artikel 1 unserer Verfassung ist der Schutz der Würde aller Menschen als zentrale Verpflichtung des Staates festgelegt. Geht es um die Würde von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen, übernimmt die Pflege eine zentrale Rolle. Deshalb müssen wir darum ringen, dass die Pflege ihren Platz in Deutschland bekommt.

Interview: Brigitte Teigeler

Diskutieren Sie mit auf der Fortbildung für Pflegende am 2. Dezember 2022!

Christine Vogler ist Referentin des Vortrags: „Selbstbestimmung in der Pflege – Tragikomödie ohne Ende?“ (9.10 bis 9.30 Uhr) und Teilnehmerin der Podiumsdiskussion „Zwischen Schülervertretung und Regierungskommission – Pflege in der Professionalisierungsfalle“ (11 bis 11.40 Uhr).

1 Kommentar zu „„Wir müssen darum ringen, dass die Pflege ihren Platz bekommt“ “

  1. Das ist alles nicht im Interesse der Pflegenden. Das ist ein gesellschaftliches Problem und das der Politik. Alleine schon die grundsätzliche Finanzierung hebelt eine Arbeit der Kammer aus. Und Zwangsbeiträge schaffen keine Akzeptanz. Einen netten Gruß aus Niedersachsen

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